Der Bt 222 - ein frühes Schweizer Beispiel für ein ausdrücklich für den Vorortsverkehr ausgelegtes Fahrzeug

Dieser Beitrag ist in direktem Zusammenhang mit demjenigen über den BDe 4/4 6 zu verstehen. Um längere Wiederholungen zu vermeiden, werden allgemeine Sachverhalte hier nur besprochen, wenn sie für den BDe 4/4 6 nicht zutreffen.

Geschichte und Stellenwert des Fahrzeugs

Nachdem die SZB ab 1950 den Überlandverkehr verpendelt hatte, wandte sie sich dem Vorortsverkehr Bern – Zollikofen via Dorflinie zu, auf dem noch die ursprünglichen Fahrzeuge der Bern – Zollikofen-Bahn Dienst taten. So kamen 1954 die Ct 81 – 83 und 1955 die zugehörigen Triebwagen CFe 4/4 21 – 23 in Betrieb. Die Ct 81 – 83 wiesen gegenüber den Überlandsteuerwagen doppelt breite Einstiege und entsprechend grosse Plattformen auf, wenn auch für den Fahrgastfluss eher ungünstig am Fahrzeugende angeordnet.

Während in Grossstädten wie Berlin oder Paris schon seit der Elektrifizierung Vorortstriebzüge mit breiten Türen und grossen Stehplattformen unterwegs waren, tat man es sich in der Schweiz mit der Einführung von solchen Fahrzeugen lange ziemlich schwer. Die Maximierung der Sitzplatzzahl bei gegebener Fahrzeuglänge stand meistens im Vordergrund. Eigentlich waren die ab 1939 gebauten Leichtstahlwagen der SBB die ersten Fahrzeuge in der Schweiz, die in der Anordnung der Türen, der Plattformen und der Fahrgastabteile dem Kanon der Vorortszüge folgten, obwohl sie damals kaum im Vorortsverkehr eingesetzt wurden. Mit den ab Mitte der 1950er-Jahre gebauten Einheitswagen I wandten sich die SBB von dieser Auslegung der Fahrzeuge wieder ab und der Sitzplatzmaximierung zu. Ebenso wiesen die 1967 als erste S-Bahn-Fahrzeuge der Schweiz gepriesenen RABDe 12/12 «Mirage» der SBB nach wie vor sehr enge Einstiegsverhältnisse auf. Erst die Mitte der 1970er-Jahre entstandenen Prototypen RABDe 8/16 «Chiquita» hatten die SBB als echte S-Bahn-Fahrzeuge entworfen, und in der Fachliteratur dazu wurde ausdrücklich Bezug auf die zu engen Einstiegsverhältnisse bei den «Mirages» genommen.

Die breiten Einstiege der Ct 81 – 83 waren insofern nur eine halbe Sache, als die zugehörigen Triebwagen 21 – 23 dieselben Einstiegsverhältnisse aufwiesen wie die Überlandtriebwagen 4 – 6, so dass im Endeffekt keine Beschleunigung des Betriebs auftrat. Erst mit der 1965 einsetzenden Ablieferung der Be 4/4 24 – 28 und Bt 84 – 87 wurde der Gedanke des Vorortszugs konsequent umgesetzt. Zu den breiten Einstiegen waren nun auch grosse Stehplattformen gekommen, wenn auch immer noch an den Fahrzeugenden statt gegen die Mitte versetzt. 1974 feierte das Konzept des Vorortszugs bei der SZB/VBW mit der Ablieferung der Be 4/8 41 – 52 «Mandarinli» seine Vollendung.

Die Bt 81 – 83 wurden nach 1965 zusammen mit den BDe 4/4 21 – 23 zunehmend in den stürmisch wachsenden Überlandverkehr und den erweiterten Vorortsverkehr bis Jegenstorf abgedrängt, wo deren eher spartanische Innenausstattung mit Holzbänken nicht wirklich passend war. Infolgedessen wurde die Innenausstattung der Bt 221 und 222 in den späten 1970er-Jahren erneuert, während der Bt 223 im Originalzustand als Reserve verblieb.

Mit der 1992 erfolgten Ablieferung der ABe 4/8 65 – 72 «Prima» waren die beiden Steuerwagen im Überlandverkehr nicht mehr gefragt und sie liefen fortan in den Einsatzzügen Bern – Bolligen. Mit der Ablieferung der ersten Serie RABe 4/12 21 – 26 «Next» ab 2009 übernahmen Be 4/12 der Serie 62 – 72 «Seconda» diese Einsatzzüge und die Steuerwagen mussten das Feld räumen. 2010 ging der Bt 222 an den Tramverein Bern über, der ihn zusammen mit dem BDe 4/4 6 ausserhalb des Netzes remisierte.

Technik

Die Ct 81 – 83 entsprachen der SIG-Version eines Leichtstahlwagens. Diese war von aussen kaum von der Version von SWS zu unterscheiden. Wegen der breiten Einstiegstritte waren die Drehgestelle kaum zu erkennen, obwohl dort der wichtigste Unterschied bestand. Die SIG rüstete die in dieser Periode gelieferten Wagen konsequent mit den von ihr entwickelten Torsionsstab-Drehgestellen aus. Während die Primärfederung wie beim SWS-Drehgestell aus Schraubenfedern bestand, basierte die Sekundärfederung auf Torsionsstäben. Damit konnte das Gewicht der Drehgestelle gegenüber solchen mit Blattfedern gesenkt werden. Nachteilig war die fehlende Dämpfung der Torsionsstäbe.

Die ursprüngliche Innenausstattung der Ct 81 – 83 bestand aus Holzbänken, die zuvor aus den Ct 51 – 53 ausgebaut und dort durch leicht gepolsterte Bänke ersetzt worden waren. 1966 begann die Anpassung der Bt 81 – 83 für den Einsatz mit den Be 4/4 24 – 28 mit einer Anpassung der Fernsteuerung und der Einführung des «Halts auf Verlangen». Die Ablieferung der Bt 84 – 87 führte jedoch zur zunehmenden Verdrängung aus diesen Einsätzen. Das Verkehrswachstum auf der Überlandstrecke nach der Einführung des «Plans 1974» führte in der zweiten Hälfte der 1970er-Jahre zum Umbau der Bt 221 und 222 für den Überlandverkehr, was im Wesentlichen den Einbau einer zeitgemässen Bestuhlung und Beleuchtung, der Zugsicherung und der automatischen Türsteuerung beinhaltete. Der neue orange/crème Anstrich war äusserlicher Ausdruck dieser Modernisierung.

Wichtigste technische Daten

Baujahr / Erbauer
1954 SIG / MFO
Länge über Puffer
19,59 m
Breite
2,70 m
Tara
Ursprünglich 19,2 t, zuletzt 21,5 t
Sitzplätze
Ursprünglich 64, ab 1977 nur noch 56
Höchstgeschwindigkeit
75 km/h

Wichtigste Umbauten

1967
Anpassung der Fernsteuerung an die Be 4/4 24 – 28, Halt auf Verlangen
1974
Umnummerierung von Bt 82 zu Bt 222
1977
Zugsicherung, neue Bestuhlung, Längsgepäckträger, Röhrenbeleuchtung, automatische Türsteuerung, Anstrich orange/crème
1983
Verschweissen der Stirnwandtüren, statisches Batterieladegerät
2005
Asbestentsorgung, Einbau Zugbeeinflussung ZSl90

Der Bahnhistorische Verein Solothurn – Bern (BVSB) und der Bt 222

Die Geschichte des RBS und seiner Vorgängerbahnen erstreckt sich inzwischen über mehr als 100 Jahre. Dennoch besteht heute noch die Chance, aber nicht mehr lange, eine repräsentative Sammlung von historischen Fahrzeugen zu erhalten, die alle relevanten Epochen und Bauarten repräsentieren. Der BVSB wurde 2016 gegründet, als die akute Gefahr bestand, dass wichtige Vertreter dieser potenziellen Sammlung verschrottet würden, und hat eine Anzahl historische Fahrzeuge geschützt unter Dach abgestellt.

Der Bt 222 gehört zu den wenigen Fahrzeugen aus den 1950er-Jahren, bei denen eine Asbestsanierung während der Betriebszeit durchgeführt wurde, was seine museale Erhaltung erleichtert hat. Der Tramverein Bern übernahm 2009 die noch ursprüngliche Innenausstattung mit Holzbänken des nicht asbestsanierten Bt 223, welche nun in den Bt 222 eingebaut werden kann. Somit ist eine Restaurierung des Bt 222 in den Zustand der 1950er-Jahre möglich, womit sich zusammen mit dem BDe 4/4 6 eine Komposition aus den 1950er-Jahren ergäbe.

Quellen